von Washington Irving
Auf dem Gipfel einer der Höhen des Odenwaldes, einer wilden und romantischen Gegend des südlichen Deutschlands, unweit von dem Zusammenfluß des Mains und Rheins gelegen, erhob sich vor langen, langen Jahren das Schloß des Barons von Landshort. Es ist jetzt gänzlich zerfallen und beinahe unter Buchen und Fichten begraben, aus denen aber noch der alte Wachturm hervorlugt, welcher gleich seinem früheren Besitzer, wie ich mir erzählen ließ, sein Haupt hoch trägt und auf das benachbarte Land herunterschaut.
Der Baron war ein dürrer Ast der großen Familie derer von Katzenellenbogen und erbte die Überreste des Besitztums und zugleich den ganzen Stolz seiner Ahnen. Wenn schon der kriegsliebende Sinn seiner Vorfahren
die Familiengüter sehr vermindert hat, so bemühte sich der Baron, den äußeren Glanz ehemaliger Herrlichkeit aufrecht zu erhalten. Die Zeiten waren friedlich und die deutschen Edelleute hatten meistens ihre unbehaglichen, alten, wie Adlernester an den Bergen klebenden Burgen verlassen und sich bequemere Wohnungen in den Tälern gebaut. Jedoch der Baron blieb noch immer in seiner kleinen Feste zurückgezogen und nährte mit angeerbter Hartnäckigkeit die alten Familienfehden, so daß er mit einigen seiner nächsten Nachbarn auf üblem Fuß stand wegen Streitigkeiten, die schon zwischen ihren Urgroßvätern bestanden.
Der Baron besaß nur ein Kind, eine Tochter; aber die
Natur entschädigt, wenn sie nur ein Kind gewährt, dies immer dadurch, daß sie es zu einem Wunder macht; und so war es mit der Tochter des Barons. Alle Ammen, Gevatterinnen und Mummen versicherten dem Vater, daß es ihresgleichen an Schönheit in ganz Deutschland nicht gebe; und wer sollte das besser wissen als diese? Sie war überdies mit großer Sorgfalt erzogen worden unter Oberaufsicht zweier Basen, welche in ihrer Jugend mehrere Jahre an einem der kleinen deutschen Höfe zugebracht hatten und in allen zur Erziehung einer vornehmen Dame notwendigen Zweigen der Wissenschaft geschickt waren. Unter ihrer Anleitung wurde sie ein Wunder von Vollkommenheit. Sie war achtzehn Jahre, konnte entzückend sticken und hatte ganze Historien von Heiligen in Tapisseriearbeiten gewirkt, mit solcher Kraft des Ausdrucks in den Gesichtszügen, daß sie aussahen wie Seelen im Fegefeuer. Sie konnte ohne Schwierigkeit lesen und hat sich durch verschiedene Kirchenlegenden und fast alle wunderbaren Rittertaten im Heldenbuche durchbuchstabiert. Sie hat sogar beträchtliche Fortschritte im Schreiben gemacht; sie war im Stande, ihren Namen, ohne einen Buchstaben auszulassen und so deutlich zu zeichnen, daß ihre Basen ihn ohne Brille lesen konnten. Sie glänzte in der Anfertigung kleiner, eleganter, nutzloser Spielereien jeder Art, wie solche bei den Frauen gebräuchlich sind; sie war bewandert in den verwickeltsten Tänzen damaliger Zeit, spielte eine Reihe von Liedern auf der Harfe und Gitarre und wußte alle zarten Lieder der Minnesänger auswendig.
Ihre Basen, welche in jüngeren Jahren sehr flatterhaft und kokett gewesen, waren vortrefflich dazu geeignet, wachsame Wächter und Hüter der Aufführungen ihrer Nichte zu sein. Denn es gibt keine so steife und kluge und unerbittliche ehrsame Duenna, wie gerade eine alte Kokette.
Man verlor sie selten aus den Augen; sie durfte niemals das Schloßgebiet verlassen, außer gut begleitet oder richtiger: gut bewacht; auch mußte sie fortwährend Lehren über Anstand und unbedingten Gehorsam anhören, und was die Männer anging – Pah! – da hat man sie gelehrt, sie in solcher Entfernung zu halten und ihnen in so hohem Grade zu mißtrauen, daß sie ohne ausdrückliche Ermächtigung den schönsten Kavalier der Welt auch nicht eines Blickes gewürdigt haben würde, – nein, und wenn er zu ihren Füßen gestorben wäre.
Die guten Wirkungen dieses Systems waren wunderbar. Die junge Dame war ein Muster von Folgsamkeit. Während andere ihren Liebreiz im Glanz der Welt vergeudeten und der Gefahr ausgesetzt waren, von jedweder Hand gepflückt und beiseite geworfen zu werden, erblühte sie keusch zu einer frischen und lieblichen Weiblichkeit unter den Fittichen dieser alten Jungfrauen, wie eine Rosenknospe sich rötlich färbt unter schützenden Dornen. Ihre Basen blickten mit Stolz und Entzücken auf sie und rühmten sich, daß, wenn sich auch alle anderen jungen Mädchen in der Welt verführen ließen, doch Gott sei Dank! nichts der Art der Erbin von Katzenellenbogen begegnen könne.
Aber wenn der Baron auch nur kärglich mit Kindern gesegnet war, so war sein Haushalt dennoch kein kleiner, denn die Vorsehung hat ihn im Überfluß mit armen Verwandten gesegnet. Diese besaßen samt und sonders die liebvolle Zuneigung, die sich bei armen Verwandten findet; sie bekundeten eine wundersame Anhänglichkeit an den Baron und ergriffen jede Gelegenheit in Schwärmen zu kommen und das Schloß zu beleben. Alle Familienfeste wurden von diesen guten Leuten auf Kosten des Barons
begangen, und wenn sie weidlich gegessen und getrunken hatten, pflegten sie zu erklären, daß es nichts Schöneres auf Erden gebe, als diese Familienzusammenkünfte, diese Jubeltage des Herzens.
Dieser Baron, obgleich ein kleiner Mann, hatte eine große Seele, die mit Befriedigung bei dem Bewußtsein schwoll, der größte Mann in dieser kleinen Welt um ihn herum zu sein. Er erzählte gerne lange Geschichten von alten Kriegern, deren Bildnisse grimmig von den Wänden herniederschauten, und er fand nirgends andächtigere Zuhörer als die, welche sich aus seiner Tasche nährten. Er neigte stark zum Wunderbaren und glaubte steif und fest an all jene Sagen, an denen jeder Berg und jedes Tal in Deutschland reich ist. Die Gläubigkeit seiner Gäste überstieg sogar seine eigene; sie lauschten jeder Wundergeschichte mit offenem Auge und Mund und verfehlten nie, erstaunt zu tun, selbst wenn sie zum hundertsten Male wiederholt wurde. So lebte der Baron von Landshort, das Orakel seiner Tafel, der unumschränkte Beherrscher seines kleinen Territoriums und vor allen Dingen glücklich in der Überzeugung, der weiseste Mann seiner Zeit zu sein.
In den Tagen, in denen meine Erzählung spielt, war auf dem Schloße großer Familenrat wegen einer Angelegenheit von der größten Wichtigkeit: nämlich wegen des Empfangs des der Tochter des Barons bestimmten Bräutigams. Eine Verhandlung war zwischen dem Vater und einem alten bayrischen Edelmann gepflogen worden, die Würde ihrer Häuser durch eine Heirat ihrer Kinder zu vereinigen, Die Vorbereitungen waren mit gebührender Umständlichkeit getroffen. Die jungen Leute waren miteinander verlobt, ohne sich gesehen
zu haben; und der Tag für die Vermählungsfeierlichkeit war festgesetzt. Der junge Graf von Altenburg war zu dem Zwecke vom Heere abberufen worden und gerade auf dem Wege zu des Barons Schlosse, um seine Braut in Empfang zu nehmen. Man hat sogar aus Würzburg, wo er zufällig aufgehalten wurde, Botschaften von ihm, in denen Tag und Stunde, wann seine Ankunft erwartet werden könnte, bestimmt waren.
Das Schloß war in Aufruhr und rüstete sich, um ihm einen angemessenen Willkommen zu bereiten. Die schöne Braut war mit ungewöhnlicher Sorgfalt geschmückt worden. Die beiden Basen hatten ihre Toilette überwacht und den ganzen Morgen sich über jedes Stück ihres Anzuges gezankt. Die junge Dame hat diesen Streit zu ihrem Vorteil benutzt, der Richtung ihres eigenen Geschmacks zu folgen und glücklicherweise war der ein guter. Sie sah so lieblich aus, wie ein jugendlicher Bräutigam nur wünschen kann, und die Aufregung der Erwartung erhöhte den Glanz ihrer Reize.
Die Röte, welche ihr Antlitz und ihren Nacken übergoß, das sanfte Wogen des Busens, das Auge, welches hin und wieder in Träumerei verloren schien, alles verriet die leise Unruhe, die in ihrem kleinen Herzen vorging. Die Basen waren beständig um sie her tätig; denn ledige Basen pflogen großes Interesse an Angelegenheiten dieser Art zu zeigen. Sie haben ihr eine Unmasse trefflicher Ratschläge, wie sie sich benehmen, was sie sagen und in welcher Weise sie den ersehnten Geliebten empfangen solle.
Der Baron war nicht weniger mit Vorbereitungen beschäftigt. Er hatte in Wirklichkeit eigentlich nichts zu tun, indessen war er von Natur ein
feuriges, unruhiges Männlein und konnte nicht untätig bleiben, wenn die ganze Welt in Bewegung war. Er trippelte im Schloß Trepp auf, Trepp ab mit der Miene unendlicher Beängstigung; in einem fort rief er die Diener von ihrer Arbeit, um sie zu ermahnen, richtig fleißig zu sein und summte in jeder Halle und Stube umher, ebenso ruhelos und lästig, wie eine große Fliege an einem warmen Sommertag.
Mittlerweile war das gemästete Kalb geschlachtet worden; die Wälder hatten vom Rufen der Jäger widergehallt; die Küche war mit leckerer Kost überfüllt; die Keller hatten ganze Ozeane von Rhein- und Firnwein geliefert, und sogar das große Heidelberger Faß hat seinen Beitrag geben müssen. Alles war bereit, den vornehmen Gast mit Saus und Braus in echtem Sinne deutscher Gastfreundschaft zu empfangen, – aber der Gast zögerte noch immer mit seiner Ankunft, Stunde auf Stunde verrann. Die Sonne, die ihre sinkenden Strahlen auf die reichen Forste des Odenwaldes ergossen hatte, glomm gerade jetzt an den Gipfeln der Berge entlang. Der Baron erstieg den höchsten Turm und strengte seine Augen an, in der Hoffnung, in der Ferne den Grafen nebst Gefolge zu entdecken. Einmal dachte er schon, sie zu erblicken; Hörnerklang ertönte aus dem Tale, vom Widerhall in den Bergen verlängert. Eine Anzahl Reiter ward weit unten sichtbar und zog langsam den Weg entlang; doch als sie beinahe den Fuß des Berges erreicht hatten, schlugen sie plötzlich die entgegengesetzte Richtung ein. Der letzte Sonnenstrahl, – und die Straße wurde dunkler und dunkler und nichts schien sich auf ihr zu regen, als daß dann und wann ein Landmann von seiner Arbeit heimwärts wanderte.
Während sich das alte Schloß Landshort im Zustand größter Unruhe befand, trug sich in einem anderen Teile des Odenwaldes eine sehr interessante Begebenheit zu.
Der junge Graf von Altenburg verfolgte seinen Weg in jener nüchternen, langsamen, hinschlendernden Art, in der ein Mann seiner Verheiratung entgegenreist, wenn seine Freunde ihn jeder Mühe und Ungewißheit der Werbung überhoben hatten und am Ende des Weges eine Braut seiner ebenso gewiß harrt, wie ein Mittagessen. Er hat in Würzburg einen jungen Waffengefährten getroffen, mit dem er an der Grenze gedient, Hermann von Starkenfaust, einen Jüngling von den kräftigsten Armen und treustem Herzen unter der deutschen Ritterschaft, welcher jetzt gerade vom Heere zurückkehrte. Seines Vaters Schloß lag nicht weit entfernt von der alten Feste Landshort, doch hat eine erbliche Fehde die beiden Familien einander fremd gemacht. Im warmen und herzlichen Augenblick des Wiedersehens teilten die jungen Freunde sich alle ihre erlebten Abenteuer und Schicksale mit und der Graf gab die ganze Geschichte seiner beabsichtigten Hochzeit mit einer jungen Dame, die er nie gesehen, aber von ihren Reizen er die hinreißendsten Beschreibungen gehört, zum besten.
Da der Freunde Weg in derselben Richtung lag, so kamen sie überein, den Rest ihrer Reise zusammen zu machen; und um dies mit desto größerer Muse tun zu können, brachen sie zu früher Stunde von Würzburg auf, nachdem der Graf seiner Begleitung den Befehl erteilt hat, ihm später zu folgen und ihn einzuholen.
Sie verkürzten ihren Marsch durch Erinnerungen an ihre kriegerischen
Erlebnisse und Abenteur; es wurde der Graf dann und wann etwas weitschweifig über die gerühmten Reize seiner Braut und das Glück, das seiner harrt.
Auf diese Weise hatten sie die Berge des Odenwaldes erreicht und durchritten eines seiner einsamsten und dichtbelaubtesten Pässe. Es ist bekannt, daß der Wald Deutschlands immer ebenso sehr Räubern wie seine Burgen von Gespenstern heimgesucht worden sind, und zu dieser Zeit waren die ersteren besonders zahlreich, weil Horden entlassener Söldner das Land durchstreiften. Es wird deshalb nicht außergewöhnlich erscheinen, daß die Ritter von einer Bande solcher Strolche überfallen wurden. Sie wehrten sich tapfer, waren aber nahe daran überwältigt zu werden, als des Grafen Gefolge zu ihrem Beistand ankam. Bei diesem (< diesen) Anblick ergriffen die Räuber die Flucht, alleine der Graf hatte zuvor eine tödliche Wunde empfangen. Er wurde langsam und sorgfätlig nach der Stadt Würzburg zurückgetragen und ein Mönch aus dem nahen Kloster herbeigerufen, der wegen seiner Heilkunde an Leib und Seele berühmt war; doch die eine Hälfte seiner Kunst war überflüssig; die Augenblicke des unglücklichen Grafen waren gezählt.
Mit ersterbendem Atemzuge bat er seine Freunde, unverzüglich sich nach Schloß Landshort aufzumachen und den traurigen Grund zu erklären, warum er das Verlöbnis mit seiner Braut nicht halten könne. Obschon nicht der leidenschaftlichste Liebhaber, war er doch einer der pünktlichsten Menschen und es schien ihm äußerst viel daran gelegen, daß die Botschaft rasch und richtig ausgeführt würde. “Bis das nicht geschehen,” sprach er, “werde ich nicht ruhig im Grab schlafen!” Er wiederholte diese Worte mit besonderer Feierlichtkeit. Eine in so bedeutsame Worte getane Bitte ließ kein Zögern
zu. Starkenfaust bemühte sich, ihn zu trösten und zu beruhigen; er versprach, treu seinen Wunsch zu vollstrecken und reicht ihm die Hand zu feierlicher Bekräftigung. Der Sterbende drückte sie dankbar, verfiel jedoch bald ins Delirium, – redete von seiner Braut, – seiner Verbindung, – seinem gegebenen Wort; verlangte sein Roß, um nach der Feste Landshort zu reiten, und hauchte seinen Geist aus, wie er sich in den Sattel zu schwingen wähnte.
Starkenfaust weihte dem frühzeitigen Ende seines Kameraden einen Seufzer und eines Kriegers +++ und überlegte dann den schwierigen Auftrag, den er auszuführen übernommen hat. Das Herz war ihm schwer und der Kopf verwirrt, denn er sollte, als ungebetener Gast, feindlich gesinnten Leuten gegenübertreten und ihre Festfreude durch eine ihren Hoffnungen verhängnisvolle Nachricht zerstören. Und doch regten sich leise Stimmen der Neugierde in seiner Brust, diese weitberühmte Schönheit von Katzenellenbogen zu sehen, die der Welt so vorsichtig verschlossen lebt; denn er war ein leidenschaftlicher Bewunderer des weiblichen Geschlechtes, und es lag ein Drang nach Außergewöhnlichem und Unternehmungslustigen in seinem Charakter, die ihn an allen seltsamen Abenteuern Gefallen finden ließen. Vor seiner Abreise traf er mit der heiligen Brüderschaft des Klosters alle nötigen Anordnungen für die Begräbnisfeierlichkeiten seines Freundes, der in der Kathedrale von Würzburg neben mehreren seiner erlauchten Verwandten beigesetzt werden sollte; und das trauernde Gefolge des Grafes übernahm die Wache bei seinen irdischen Resten.
Es ist nun hohe Zeit, zu der alten Familie von Katzenellenbogen, die ungeduldig auf ihren Gast und noch mehr auf ihr
Festessen wartete, und zu dem würdigen kleinen Baron zurückzukehren, den wir auf dem Wartturm, frische Luft schöpfend, verlassen haben.
Die Nacht brach herein, aber noch immer erschien kein Gast. Mit dem Mahl, das von Stunde zu Stunde verschoben worden war, konnte nicht länger gezögert werden. Die Speisen waren bereits übergar, der Koch in Todesangst, und die gesamte Hausgenossenschaft hatte das Aussehen einer durch Hunger zur Übergabe gebrachten Besatzung. Der Baron sah sich, wenn auch widerstrebend, gezwungen, den Befehl zu erteilen, das Fest ohne Anwesenheit des Gastes zu eröffnen. Alle saßen gerade an der Tafel und waren just im Begriffe, mit dem Essen anzufangen, als Hörnerklang außerhalb des Tores das Nahen eines Fremden verkündete. Ein zweiter langgezogener Ton erfüllte die alten Schloßhöfe mit seinem Echo und wurde vom Turmwart erwidert. Der Baron eilte, seinen zukünftigen Schwiegersohn zu empfangen.
Die Zugbrücke war heruntergelassen, und der Fremde stand vor dem Tore. Es war ein großer stattlicher Ritter auf einem schwarzen Hengst. Sein Antlitz war bleich, aber er hatte ein glänzendes, feuriges Auge und die Mine edler Schwermut. Der Baron war etwas beleidigt, daß er in dieser einfachen und anspruchslosen Weise gekommen. Seine Würde war einen Augenblick verletzt und er fühlte sich geneigt, es als Mangel an gebührender Ehrfurcht bei dieser wichtigen Gelegenheit und für die bedeutende Familie anzusehen, mit der jener in Verwandtschaft treten sollte. Er beruhigte sich indessen durch die Schlußfolgerung, es müsse jugendliche Ungeduld gewesen sein, die ihn veranlasst habe, früher als sein Gefolge einzutreffen.
“Es tut mir leid,” sagte der Fremde, “zu so ungelegener
Zeit zu stören –.”
Hier unterbrach ihn der Baron mit einem Erguß von Komplimenten und Begrüßungen, denn er war stolz auf seine Höflichkeit und Beredsamkeit. Der Fremde versucht ein- oder zweimal, dem Strom seiner Worte Einhalt zu tun, doch vergeblich; so neigte er denn sein Haupt und ließ ihn dahinfluten. Als der Baron endlich eine Pause machte, sie den inneren Burghof erreichten, und der Fremde wieder im Begriff war, zu sprechen, wurde er von Neuem und zwar durch das Erscheinen der weiblichen Familienmitglieder unterbrochen, die die zaudernde und errötende Braut herbeiführten. Er schaut sie eine Minute wie ein Entzückter an; es schien, als ergösse sich seine ganze Seele in einem einzigen Blick auf diese liebliche Gestalt. Eine der Basen flüsterte ihr etwas ins Ohr; sie machte einen Versuch zum sprechen; ihr feuchtes blaue Auge erhob sich schüchtern; sie warf einen scheuen, forschenden Blick auf den Fremden und sah wieder zu Boden. Die Worte erstarben ihr auf den Lippen; aber ein süßes Lächeln spielte darum, und ein zartes Grübchen auf ihren Wangen zeigte, daß ihr Blick nicht unbefriedigt geblieben. Es wäre ja auch unmöglich gewesen, daß einem blühenden Mädchen von achtzehn Jahren ein so herrlicher Kavalier nicht wohlgefallen hätte.
Die späte Stunde, zu welcher der Gast angekommen, ließ keine Zeit zu langer Unterhaltung. Der Baron war energisch; er verschob jede besondere Aussprache bis auf den morgigen Tag und geleitete seinen Gast zu dem noch unberührten Mahl.
Es war im großen Rittersaal der Burg aufgetragen. Rings
an den Wänden hingen die Bildnisse der Helden aus dem Haus derer von Katzenellenbogen und die Trophäen, welche sie im Feld und auf der Jagd gewonnen. Zerhackte Panzerhemden, zersplitterte Turnierlanzen und zerissene Banner waren mit der Beute des Waidwerks gemischt. Wolfsrachen und Eberhauer grinsten grinsten schrecklich zwischen Armbrüsten und Streitäxten hindurch, und ein ungeheueres Hirschgeweih breitete gerade über dem Haupte des jugendlichen Bräutigams seine Äste aus.
Der Kavalier kümmerte sich nur wenig um die Gesellschaft oder die Unterhaltung. Er kostete kaum die Speisen, sondern schien in die Bewunderung seiner Braut versunken. Er redete in leisem Ton mit ihr. daß man nichts davon verstehen konnte, – denn die Sprache der Liebe ist nie die laute; aber wo gäbe es ein Frauenohr, das nicht das leiseste Flüstern des Geliebten vernähme? Es lag ein Gemisch von Zärtlichkeit und Ernst in seinem Benehmen, das auf die junge Dame einen mächtigen Eindruck hervorzurufen schien. Ihre Gesichtsfarbe wurde bald blaß, bald rot, wie sie ihm mit tiefer Aufmerksamkeit lauschte. Dann und wann gab sie errötend Antwort, und wenn sein Auge von ihr abstreifte, war sie einen verstohlenen Seitenblick auf sein romantisches Anlitz und hauchte einen leisen Seufzer süsser Glückseligkeit. Es lag auf der Hand, daß das junge Paar völlig ineinander verliebt war. Die tief in die Geheimnisse des Herzens eingeweihten Basen erklärten, sie seien beide beim ersten Blick von Liebesglut erfüllt worden.
Das Fest wurde sehr heiter oder mindestens lärmend, denn die Gäste waren samt und sonders mit jenem tüchtigen Appetit gesegnet, der die Folge von leeren Börsen und von Gebirgsluft ist. Der Baron gab
seine schönsten und längsten Geschichten zum Besten, und niemals hat er sie so gut oder mit so großer Wirkung erzählt. Wenn irgend etwas Wunderbares darin vorkam, so waren seine Zuhörer in Erstaunen ganz verloren; und kam etwas Spaßhaftes vor, so lachten sie gewiß genau an der rechten Stelle. Der Baron war allerdings, wie die meisten großen Männer, zu würdevoll, um andere als nur höchst schale Witze zu reißen. Sie wurden indessen immer durch einen vollen Humpen köstlichen Hochheimers gewürzt. und sogar ein fader Witz an der eigenen Tafel in Begleitung eines feurigen alten Weines wirkt unwiderstehlich.
Mitten unter all diesem Jubel bewahrte der Fremde einen höchst eigentümlichen und unzeitgemäßen Ernst. Seine Miene nahm eine immer düstere Färbung an, je tiefer es in die Nacht ging; und, so sonderbar es auch klingen mag, sogar die Späße des Barons schienen ihn nur noch schwermütiger zu stimmen. Bisweilen war es in Gedanken versunken, und dann wieder irrte sein Auge verwirrt und rastlos umher, was auf ein unruhiges Gemüt schließen ließ. Seine Unterhaltung mit der Braut wurde mehr und mehr ernst und geheimnisvoller. Dunkle Wolken fingen an, über ihre schöne, heitere Stirn zu ziehen und ein Zittern durch ihren zarten Leib zu rieseln.
Alles dies konnte der Aufmerksamkeit der Gesellschaft nicht entgehen. Ihre Fröhlichkeit war durch den unerklärlichen Trübsinn des Bräutigams abgekühlt; das steckte an; man flüsterte und wechselte Blicke und begeleitete sie mit Achselzucken und schweigendem Kopfschütteln. Der Gesang und das Gelächter wurden selten und immer seltener; es entstanden peinliche Pausen in der Unterhaltung,
denen endlich tolle Geschichten folgten. Eine düstere Erzählung jagte die andere und der Baron versetzte die Damen fast in Weinkrämpfe durch die Historie von dem gespenstischen Reiter, der die schöne Lenore entführte; eine schreckliche, aber wahre Geschichte, die seitdem in ausgezeichnete Verse gebracht worden ist und die von der ganzen Welt gelesen und geglaubt wird.
Der Bräutigam lauschte dieser Erzählung mit gespannter Aufmerksamkeit. Er hielt seine Augen starr auf den Baron geheftet und als die Geschichte ihrem Schluß nahte, erhob er sich allmählich von seinem Sitze, ward größer und größer, bis er in des Barons verzücktem Auge beinahe zu einem Riesen angewachsen schien. In dem Moment, wo die Erzählung beendigt war, stieß er einen tiefen Seufzer aus und nahm feierlich Abschied von der Gesellschaft. Alle waren erstaunt und der Baron wie vom Donner gerührt.
“Was! Die Burg um Mitternacht verlassen? Es sei alles auf sein Hierbleiben eingerichtet; ein Zimmer sei für ihn bereitet, wenn er sich zurückzuziehen wünsche.
Der Fremde schüttelte traurig und geheimnisvoll das Haupt: “Ich muß meinen Kopf diese Nacht auf ein anderes Kissen legen!”
Es lag etwas in dieser Antwort und in dem Ton, womit er sie äußerte, was des Barons Herz zittern machte; jedoch nahm er alle Kraft zusammen und wiederholte seine gastfreundschaftliche Einladung.
Der Fremde schüttelte bei jedem Anerbieten schweigend, aber entschieden das Haupt, und der Gesellschaft ein Lebwohl zuwinkend, schritt er langsam aus der Halle. Die Basen waren wie versteinert, – die
Braut ließ das Köpfchen hängen, und eine Träne stahl sich ihr ins Auge.
Der Baron folgte dem Fremden auf den großen Schloßhof, wo das schwarze Streitroß stand, mit den Hufen scharrend und voll Ungeduld schnaubend. Als sie das Portal, dessen hoher Bogen durch ein Feuerbecken düster erleuchtet war, erreicht hatten, hielt der Fremde inne und wandte sich an den Baron mit hohler Stimme, welche in dem gewölbten Raume nur noch grabartiger klang.
“Jetzt, wo wir allein sind,” sprach er, “will ich euch den Grund meines Scheidens erklären. Ich habe eine feierliche, eine unerläßliche Verpflichtung –”
“Wie?” unterbrach ihn der Baron, “Könnt ihr nicht einen Anderen an eurer Stelle entsenden?”
“Sie gestattet keinen Stellvertreter, – ich muss in eigener Person erscheinen, – ich muss fort nach der Kathedrale zu Würzburg –”
“Sehr wohl,” sagte der Baron und faßte sich neuen Mut, “aber nicht eher als morgen, – morgen sollt ihr eure Braut dorthin führen.”
“Nein! Nein!” rief der Fremde mit zehnfacher Feierlichkeit, “meine Verpflichtung gilt keiner Braut; – Die Würmer! Die Würmer harren mir! Ich bin ein toter Mann – Räuber haben mich erschlagen, – mein Leichnam liegt in Würzburg, – um Mitternacht soll ich beerdigt werden, – das Grab wartet auf mich, – ich muss mein Gelöbnis halten!”
Er schwang sich auf sein schwarzes Roß, sprengte über
Zugbrücke, und das Aufschlagen der Hufe verlor sich im Pfeifen des Nachtwindes.
Der Baron kehrte in äußerster Bestürzung in den Saal zurück und berichtete, was geschehen war. Zwei Damen fielen flugs in Ohnmacht, und anderen wurde übel bei dem Gedanken, mit einem Toten geschmaust zu haben. Etliche waren der Ansicht, es möchte der in deutschen Sagen berühmte wilde Jäger gewesen sein; andere sprachen von Berg- und Walddämonen und sonstigen übernatürlichen Wesen. Einer der armen Verwandten erdreistete sich freilich, die Vermutung anzustellen, er möge ein auf sein Entkommen angelegter Scherz des jungen Ritters gewesen sein, und gerade das Düstere dieses Einfalles scheine zu seiner melancholischen Persönlichkeit zu passen. Dies zog ihm indessen die Entrüstung der gesamten Gesellschaft und vorzüglich des Barons zu, der ihn für wenig mehr als einen Ungläubigen hielt, so daß jener willig seiner Ketzerei so schleunig wie möglich abschwor (< abschwer) und das wahre Glaubensbekenntnis annahm.
Doch welche Zweifel auch immer aufsteigen mochten, es wurde ihnen am nächsten Tage vollständig ein Ziel gesetzt durch das Eintreffen einer regelrechten Botschaft, welcher die Ermordung des jungen Grafen und seine Beisetzung in der Kathedrale von Würzburg bestätigte.
Man kann sich die Bestürzung im Schloß vorstellen. Der Baron schloß sich in seinem Zimmer ein. Die Gäste, welche gekommen waren, mit ihm fröhlich zu sein, konnten nicht daran denken, ihn in seinem Kummer zu verlassen. Sie wanderten auf den Höfen umher oder sammelten sich gruppenweise im Saale, schüttelten die Köpfe und zuckten die Achseln über das Unglück eines so guten Mannes; und saßen
länger als je zu Tische und aßen und tranken wackerer denn je, um ihre Lebensgeister wach zu halten. Aber die Lage der verwitweten Braut war am bejammernswertesten. Einen Gemahl verloren zu haben, bevor sie ihn nur umarmt – und solch ein Gemahl! Wenn schon sein Geist so herrlich und edel war, wie musste er erst im Leben gewesen sein? Sie erfüllte das Haus mit ihren Klagen.
In der zweiten Nacht ihres Witwentums hatte sie sich, von einer ihrer Basen begleitet, die darauf bestand, bei ihr zu schlafen, in ihr Gemach zurückgezogen. Die Base, welche Gespenstergeschichten liebte, hatte eben eine ihrer längsten zum Besten gegeben und war mitten in derselben eingeschlafen. Das Zimmer lag entfernt und sah auf einen kleinen Garten. Die Nichte schaute gedankenvoll nach den Strahlen des aufgehenden Mondes, wie sie auf den Blättern einer vor dem Fenster stehenden Esche zitterten. Die Schloßuhr hatte gerade Mitternacht verkündigt, als der Ton sanfter Musik aus dem Garten heraufklang. Sie sprang hastig aus dem Bette und schlich leise ans Fenster. Eine schlanke Gestalt stand im Schatten der Bäume. Als diese einmal den Kopf erhob, fiel der Schein des Mondlichtes auf ihr Anlitz. Gott im Himmel! Sie sah einen Geisterbräutigam! In diesem Moment schlug ein lauter Schrei an ihr Ohr, und die Base, die von der Musik geweckt worden und ihr schweigend ans Fenster gefolgt war, fiel ihr in die Arme. Als sie wieder hinblickte, war das Gespenst verschwunden.
Von den beiden Frauen bedurfte die Base nun am meisten des Beistandes, denn sie war vollständig außer sich vor Schreck. Die junge Dame aber fand sogar im Geiste ihres Geliebten etwas, was ihr anziehend schien. Er war noch männlich schön, und obschon der Schatten
eines Mannes nur wenig dazu angetan ist, die Sehnsucht eines liebeskranken Mädchens zu befriedigen, so ist doch, wenn die lebendige Person nicht existiert, sie dieser tröstlich. Die Base erklärte, nie wieder in jenem Zimmer schlafen zu wollen; die Nichte war zum ersten Male widerspenstig und erklärte ebenso bestimmt, sie würde in keinem anderen des Schloßes schlafen. Die Folge davon war, daß sie dort alleine schlafen mußte; jedoch nahm sie ihrer Base das Versprechen ab, die Geschichte von dem Gespenst nicht weiterzuerzählen, damit ihr nicht die einzige wehmütige Freude auf Erden versagt würde – die, das Gemach zu bewohnen, über dem der schützende Geist ihres Geliebten nächtlich Wache halte.
Wie lange die gute alte Dame ihr Versprechen gehalten haben würde, ist ungewiß; denn sie liebte es gar zu sehr, von Wundern zu reden und es ist so eine Art von Triumph, der erste zu sein, der eine Schauergeschichte erzählt; man führte es indessen noch immer in der Gegend als ein beachtliches Beispiel weiblicher Verschwiegenheit an, daß sie es eine ganze Woche hindurch hielt, bis sie plötzlich jedes weiteren Zwanges durch die ihr beim Morgenfrühstück überbrachte Nachricht überhoben wurde, daß die junge Herrin nirgends zu finden sei. Ihr Zimmer war leer, – ihr Bett unberührt, – das Fenster offen und der Vogel davongeflogen!
Es vermögen sich nur diejenen eine Vorstellung vom Erstaunen und der Angst zu machen, mit der die Botschaft aufgenommen wurde, welche Zeuge von der Aufergehung gewesen sind, die das Unglück eines großen Mannes unter seinen Freundin verursacht. Sogar die arme Verwandtschaft hielt einen Augenblick in der unermüdlichen Arbeit des Zerschneidens inne, als die Base, die zuerst
sprachlos vor sich hingestarrt hatte, die Hände rang und kreischte: “Das Gespenst! Das Gespenst! Sie ist entführt worden vom Gespenst!”
Mit wenigen Worten erzählte sie die schreckliche Szene im Garten und schloß damit, daß Gespenst müsse seine Braut fortgeholt haben. Zwei der Bedienten bekräftigten diese Ansicht, denn sie hatten um Mitternacht den Klang von Pferdehufen bergabwärts vernommen, und sie zweifelten nicht, daß es das Gespenst aus seinem schwarzen Rosse gewesen, das seine Braut zum Grabe schleppte. Alle Anwesenden waren von dieser gräßlichen Wahrscheinlichkeit durchdrungen; denn Begebenheiten dieser Art sind in Deutschland außerordentlich gewöhnlich, wie manche durchaus authentische Geschichte bezeugt.
Welch beklagenswerte Lage für den armen Baron! Welch herzzerreißender Fall für einen zärtlichen Vater und für ein Glied der großen Familie derer von Katzenellenbogen! Seine einzige Tochter war entweder fort ins Grab geholt worden, oder er ar in der Lage, ein Gespenst zum Schwiegersohn und vielleicht eine Menge Geisterenkel zu bekommen! Er war wie gewöhnlich völlig verwirrt, und das ganze Schloß geriet in Aufruhr. Die männliche Dienerschaft erhielt den Befehl, aufzusitzen und jeden Weg und Steg und jede Talschlucht im Odenwald zu durchsuchen. Der Baron selbst hatte gerade die Reisestiefel angezogen und das Schwert umgegürtet und war im Begriff, sein Roß zu besteigen und sich gleichfalls auf die zweifelhafte Nachforschung zu begeben, als ein neues Ereignis ihn zum Einhalten veranlaßte. Man sah eine Dame sich dem Schloße nähern, die auf einem Zelter und von einem Ritter hoch zu Roß begleitet wurde. Sie galoppierte auf das Tor zu, schwang von dem Pferde, fiel dem
Baron zu Füßen und umfaßte seine Knie. Es war seine verlorene Tochter und ihr Gefährte – der Geisterbräutigam! Der Baron war starr vor Erstaunen. Er blickte auf seine Tochter, dann auf den Geist und zweifelte fast am Vorhandensein seiner Sinne. Der letztere hatte sich überdies seit seinem Besuche in der Geisterwelt im Äußeren wunderbar verschänert. Sein Anzug war glänzend und hob seine Gestalt von männlichstem Ebenmaße. Er war nicht mehr blaß und schwermütig. Sein feines Antlitz war von jugendlicher Glut gerötet, und die Freude lacht ihm aus den großen dunklen Augen.
Das Geheimnis war bald aufgeklärt. Der Ritter (denn ihr müsst es schon lange gemerkt haben, daß es kein Gespenst war,) stellte sich als Freiherr Hermann von Starkenfaust vor. Er berichtete sein Abenteuer mit dem jungen Grafen. Er berichtete, wie er nach dem Schloße geeilt sei, um die unwillkommene Botschaft zu überbringen, wie aber des Barons Beredsamkeit ihn bei jedem Versuch, sich seiner Sendung zu entledigen, unterbrochen habe. Wie der Anblick der Braut ihn so vollständig gefangen genommen hätte, um ein paar Stunden neben ihr zu verweilen, den Irrtum habe fortdauern lassen. Wie er höchst verlegen gewesen, in welcher Weise er sich anständig zurückziehen könne, bis des Barons Geistergeschichten ihm seinen exzentrischen Abgang eingegeben hätten. Wie er aus Furcht vor der vererbten Familienfeindschaft seine Versuche nur verstohlen fortgesetzt, – den Garten unter dem Fenster der jungen Dame betreten, – geworben, – gewonnen, – sie im Triumph davongeführt – und, mit einem Wort, die Schöne geheiratet hätte.
Unter anderen Umständen würde der Baron unerbittlich sein, denn er hielt Steine auf seine väterliche Autorität und er war ungemein hartnäckig in allen Familienfehden; aber er liebte seine Tochter; er hatte ihren Verlust bejammert; er war glücklich, sie noch am Leben zu finden; und wenn ihr Gatte auch aus einem feindlichen Hause stammte, so war der doch, Gott sei Dank, kein Gespenst. Es muß zugegeben werden, es lag in dem Scherz, welchen der Ritter mit ihm getrieben, sich ihm gegenüber als einen Toten auszugeben, etwas, was mit seinen Begriffen von echter Wahrhaftigkeit nicht ganz übereinstimmte; allein einige alte Freunde, die Kriegsdienste getan hatten, versicherten ihm, daß jede Kriegslist in der Liebe entschuldbar und der Ritter besonders berechtigt gewesen wäre, sie zu gebrauchen, da er zuletzt als Rittmeister gedient habe.
Die Sache wurde deshalb glücklich beigelegt. Der Baron verzieh dem jungen Paare auf der Stelle. Die Festlichkeiten auf dem Schloße fingen wieder an. Die arme Verwandtschaft überschüttete das neue Familienmitglied mit liebender Zärtlichkeit; er war ja so tapfer, so großmütig und – so reich. Die Basen ärgerten sich freilich etwas darüber, daß ihr System der strengen Abschließung und des geduldigen Gehorsams sich so schlecht bewährt hatte, aber sie schreiben alles ihrer Nachlässigkeit zu, daß sie das Fenster nicht hatten vergittern lassen. Die eine fühlte sich vornehmlich dadurch gekränkt, daß ihre wunderbare Geschichte verdorben war und das einzige Gespenst, das sie je gesehen, sich als ein falsches herausgestellt hatte; jedoch die Nichte schien völlig glücklich zu sein, daß sie es aus wirklichem Fleisch und Blut befunden, – damit schließt die Geschichte.